«Mein amerikanischer Traum ist geplatzt»

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«Mein amerikanischer Traum ist geplatzt»

Beitragvon zuyox am So Apr 13, 2008 8:12 pm

Andreas Mink, Journalist der NZZ, schreibt: «Mein amerikanischer Traum ist geplatzt»
Anleger geraten in Panik, Verarmte stranden in Zeltstädten
Zwei Millionen amerikanischen Hausbesitzern steht eine Zwangsversteigerung bevor. Auch im wohlhabenden Connecticut kämpfen neuerdings viele um ihre Existenz.

Die Hypothekenkrise in den USA hat viele Gesichter. An der Wall Street grassiert die Panik. In Kalifornien wachsen am Rand der Metropolen Los Angeles und San Diego Zeltstädte. Dort kampieren Zehntausende, die ihre Darlehen nicht mehr bedienen konnten. Und auch im vergleichsweise wohlhabenden Neuenglandstaat Connecticut gehen Banken allein im Bezirk New London mit 260 000 Einwohnern monatlich gegen Hunderte von säumiger Kreditnehmern vor. So zum Beispiel auch gegen Betsy. Sie ist ärmlich gekleidet, ihre grauen Haare liegen in Strähnen über ihrem abgewetzten Anorak. Die 51-Jährige hat Ende vergangenen Jahres ihre Ratenzahlungen eingestellt:
Betsy hat geschrieben:«Heizöl und Benzin sind so teuer geworden, dass ich einfach nicht mehr weiterwusste. Wie soll ich ohne Auto zu meinem Job im Spielkasino Mohegan Sun kommen?»
Nun steht sie vor der Zwangsräumung. Betsy stockt, und die Tränen steigen ihr in die Augen:
Betsy hat geschrieben:«Mein amerikanischer Traum vom eigenen Haus ist geplatzt. Am besten springe ich von einer Brücke.»
Betsy wohnt ausserhalb der Stadt Norwich im Südosten von Connecticut. Seit lokale Indianerstämme vor 15 Jahren zwei grosse Spielkasinos gegründet haben, erlebt auch dieser Teil Neuenglands einen Bauboom. In den letzten Monaten ist er abrupt eingebrochen. Schilder, die einen Zwangsverkauf ankündigen, sind hier fast schon so häufig anzutreffen wie Briefkästen. Laut offiziellen Schätzungen steht im laufenden Jahr landesweit etwa 2 Millionen Hausbesitzern eine Zwangsversteigerung bevor. Bei rund 75 Millionen Eigenheimen in den USA wäre dies gegenüber dem Jahr 2006 eine Verdoppelung und die höchste Rate seit dem Zweiten Weltkrieg.

Nur während der grossen Depression nach 1929 haben die Amerikaner eine noch tiefere Krise auf dem Wohnungsmarkt erlebt. Im New London County steht derzeit die Zwangsversteigerung von rund 1600 Eigenheimen an. Dazu kommt eine kaum schätzbare Zahl von Häusern, deren Bewohner kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Die meisten von ihnen halten die mittlerweile berüchtigten «subprime mortgages», Darlehen mit hohen Zinsen für Leute, die noch vor zehn Jahren nicht kreditwürdig gewesen wären.

In die Klemme kommen
Carol De Rosa von der Wohnungsbau-Behörde Connecticut erklärt:
Carol De Rosa hat geschrieben:«Seit 2000 der Immobilienboom einsetzte, drängen plötzlich auch internationale Grossbanken in die amerikanische Provinz. Sie konkurrieren mit lokalen Banken, die im Notfall auch bereit sind, über einen Zahlungsaufschub zu reden, wenn Schuldner in die Klemme kommen.»
Globale Akteure wie die UBS ziehen dagegen umgehend vor Gericht, sobald einer in Verzug kommt. Aus den Akten beim Bezirksgericht New London geht hervor, dass UBS und Credit Suisse derzeit in Connecticut je 20 Zwangsvollstreckungen betreiben, die Deutsche Bank deren 900. Die 28-jährige Baumarkt-Angestellte Loretta hält eine dieser «Subprime»-Hypotheken:
Loretta hat geschrieben:«Mein Freund und ich haben uns in ein Haus verliebt, das US$237'000 gekostet hat. Wir hatten aber kein Kapital für eine Anzahlung. Über das Internet haben wir einen Kredit mit 30-jähriger Laufzeit und Zinsen von 8,99% gefunden.»
Loretta und ihr Freund haben ihr Haus 2006 gekauft. Vor einem Jahr begann die in ihrem Darlehensvertrag festgeschriebene Anhebung der Zinsen. Diese steigen alle sechs Monate und werden bald die Decke von 14,87% erreichen. Im letzten Herbst hatte Lorettas Freund einen Unfall. Er verlor seinen Job und konnte darum vier Monate lang keinen Beitrag zu den US$2'400 für die Hypothek leisten:
Loretta hat geschrieben:«Wir haben Teilzahlungen gemacht. Mehrfach aber wurden unsere Checks nicht eingelöst. Wir haben immer wieder versucht, einen Ansprechpartner bei der Bank zu finden. Doch die Hypothek wurde seit unserem Abschluss viermal weitergereicht, und die Kreditgeber verschanzen sich hinter automatischen Telefonsystemen. Da kommt man kaum durch.»
Die Gerichtsakten in New London offenbaren, dass über die Hälfte der insolvent gewordenen Schuldner nicht einmal vor dem Kadi erscheint.
Phyllis Cappucchio vom Wohlfahrtsverband «End Hunger Connecticut!» hat geschrieben:«Die Leute schämen sich entsetzlich. Sie kämpfen nicht, sondern sie verschwinden einfach und lassen ihr Haus zurück».
Was aus diesen Betroffenen wird, für die sich in den USA die Bezeichnung «mortgage walkers» eingebürgert hat, ist offen. Eine Sprecherin der Wohlfahrtsorganisation «United Way» erklärt, dass die Obdachlosenunterkünfte seit dem letzten Herbst vermehrt von Familien aufgesucht werden, die ihre Häuser verloren haben:
Eine Sprecherin der Wohlfahrtsorganisation hat geschrieben:«Oft haben beide Eltern Jobs, aber ihr Einkommen reicht nicht für eine Mietwohnung.»
Cappucchio sagt, dass sich Betroffene, die vor Gericht erscheinen, «meist selbst vertreten, weil sie sich keinen Rechtsbeistand leisten können. Aber Laien haben keine Chance gegen die grossen Kanzleien, die diese Verfahren am Fliessband durchziehen.» In Connecticut dominieren drei Advokaturen den Zwangsverkaufs-Markt. Sie fordern in der Regel etwa US$2000 je Prozess. Wer eine Zahlung versäumt, gilt nach 15 Tagen als überfällig, und nach 30 Tagen kann die Bank ihre Schuld einklagen. Nach 60 Tagen steht es dem Kreditgeber frei, eine Zwangsvollstreckung einzuleiten, um seine Verluste möglichst gering zu halten. Danach dauert es in der Regel keine zwei Monate, bis das Gericht einen Anwalt mit der Abwicklung der Versteigerung beauftragt. Während der ganzen Zeit laufen Verzugszinsen auf, die der Schuldner ebenso zu bezahlen hat wie die diversen Gebühren von Schätzern und Advokaten.

[b]Schlüssel in der Hand

Doch das Verderben vieler Eigentümer beginnt meist schon, bevor sie den Schlüssel ihres Eigenheims überhaupt in den Händen halten. Amerikanische Kreditverträge sind generell so kompliziert, dass ihre Klauseln auch nach wiederholter Lektüre kaum verständlich sind.
Wendy hat geschrieben:«Ich hab der Bank vertraut».
Die 46-jährige Büroangestellte hat nach einer Scheidung eine besonders tückische Hypothek aufgenommen:
Wendy hat geschrieben:«Ich hatte US$20'000 Eigenkapital für ein US$230'000 Haus. Ich habe erst nur 1% Zinsen gezahlt und musste die Schuld nicht abtragen. Dann hat die Bank die Zinsen sukzessive auf 8% angehoben und die Abzahlung des Kredits verlangt.»
Die monatlich fälligen US$2'200 konnte sich Wendy nicht leisten. So trat eine «negative Amortisierung» ein:
Wendy hat geschrieben:«Die Bank hat meine unerfüllten Verpflichtungen auf die ursprüngliche Kreditsumme geschlagen. Jetzt stehe ich mit 252 000 Dollar in der Kreide, und meine Schulden werden weiterwachsen, bis mich die Bank aus dem Haus klagt.»
Der Postbeamte Peter Hart aus New London hat eine ähnliche Hypothek vereinbart. Aber er kämpft um seine Existenz. Er hat sich einen Anwalt genommen. Während ihm sein Advokat einen Aufschub verschaffen konnte, arbeitet die Wohlfahrtsbehörde an einem Kompromiss mit der Deutschen Bank. Harts Sache ist nicht ganz aussichtslos. Zunehmend gehen die Banken nun davon ab, Häuser zu übernehmen oder bei Zwangsversteigerungen für Spottpreise zu erwerben. Angesichts der anhaltenden Flaute auf dem Immobilienmarkt wollen die nicht auf totem Kapital sitzenbleiben. Der Anwalt Cary kann diesen neuen Trend bestätigen, aber er bleibt skeptisch:
Anwalt Cary hat geschrieben: «Leider ist es so, dass viele Schuldner sich auch bessere Konditionen nicht leisten können. Darum muss ich Mandanten dazu raten, ihre Hypothek nicht weiter zu bedienen, wenn sich absehen lässt, dass ihnen das Geld bald ausgehen wird. Dann sollten sie lieber ein paar tausend Dollar zurücklegen, um irgendwo anders einen neuen Anfang zu versuchen.»
Globale Akteure wie die UBS ziehen umgehend vor Gericht, sobald ein Schuldner in Verzug kommt.
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