Ein amerikanischer Traum - NZZ
Barack Obama hat den Präsidentschaftswahlkampf im Zeichen des «American Dream» geführt – und deshalb auch gewonnen, schreibt Alfred DefagoIch lebe seit bald 15 Jahren in den USA. Seit 8 Jahren wohne und arbeite ich in einem ausschliesslich amerikanischen Umfeld. Da wir in der Neuen Welt bleiben wollen, haben meine Frau und ich letztes Jahr Antrag auf die US-Staatsbürgerschaft gestellt. Seit kurzem sind wir Doppelbürger, wie übrigens die grosse Mehrheit aller Amerika-Schweizer. Und wie diese haben wir am letzten Dienstag gewählt. Wir stimmten für Obama.
Seine Wahl zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten verdankt Barack Hussein Obama neben der Enttäuschung über die Ära Bush dem Wiedererwachen des «American Dream», dieses ebenso faszinierenden wie banalen Traums, den alle Amerikanerinnen und Amerikaner von Zeit zu Zeit träumen. Es ist der verschwommene und zugleich plastische Traum von Generationen von alten und neuen Amerikanern, in einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihr persönliches Glück zu finden. In europäischen Ohren klingt dies alles ein bisschen gar pathetisch. Der Verdacht, dass dieser Traum hohl und letztlich nur ein Streben nach materiellem Wohlstand sei, nach einem Haus, einem Auto und einem guten Lohn, ist weit verbreitet. Europäische Intellektuelle halten den «American Dream» deshalb nicht selten für naiv, wenn nicht gar verlogen. Man hat ihn auch immer wieder totgesagt: in der Grossen Depression der dreissiger Jahre ebenso wie nach dem Vietnam-Debakel in den frühen Siebzigern und nun wiederum in den wirtschaftlichen und weltpolitischen Erschütterungen unseres Jahrzehnts.
Und dennoch fasziniert mich die erstaunlich ungebrochene Kraft des «American Dream». Obamas Wahl am 4. November ist recht eigentlich ein Produkt dieses Traums. Nicht nur, weil der Kandidat Obama ihn immer wieder leidenschaftlich beschworen hat, sondern weil er ihn selbst auch perfekt verkörpert.
Obama hat in seiner Kampagne bewusst auf vage Schlüsselbegriffe wie «Change» und «Hope» gesetzt. Beides sind Kernelemente des «American Dream». Sie sind nicht konkret und spezifisch – gerade deshalb sind sie für Konservative und Zentristen genauso akzeptabel wie für linke Progressive. Und Obamas beschwörender Aufruf für ein besseres Amerika, das weder republikanisch noch demokratisch, weder links noch rechts, weder weiss noch schwarz sei, sondern ein vereinigtes Amerika, die wirklichen «United States of America», motivierte auch Kreise, die sich von der Politik bisher fernhielten. Viele Junge, Schwarze, Latinos und auch asiatische Amerikaner gingen zum ersten Mal zur Urne in der Überzeugung, mit ihrer Stimmabgabe gehört zu werden.
Der Mann, den sie gewählt haben, verkörpert dieses neue, junge Amerika geradezu exemplarisch. Und wie ich auf Grund von persönlichen Wahlanalysen immer stärker glaube, hat seine Hautfarbe ihm dabei paradoxerweise nicht geschadet, sondern geholfen.
Weshalb? In Amerika hatten schwarze Präsidentschaftskandidaten wie Jesse Jackson und Al Sharpton bisher nicht den Hauch einer Chance, überhaupt nominiert zu werden. Als Vertreter der traditionellen «African Americans» repräsentierten sie die Nachfahren der von der weissen Mehrheit versklavten, tief gedemütigten und benachteiligten Schwarzen. Ihre Sprache war und ist geprägt von Bitterkeit, Frustration und Vorwürfen. Ein Politiker wie etwa Jesse Jackson konnte so zwar die Schwarzen hinter sich sammeln, doch den meisten Weissen machten seine Reden Angst. Und sie jagten ihnen Schuldgefühle ein.
Barack Obama, der sich zwar stolz als Schwarzer versteht, kommt nicht aus dieser Kultur. Nicht nur wegen seiner weissen Mutter, sondern auch wegen seines schwarzen kenyanischen Vaters. Dieser stand in der Tradition eines Amerikas der Einwanderung, mit allen Hoffnungen und Träumen, die diese Kultur nährt. Der junge Obama ist erst relativ spät, nämlich in Chicago, mit der traditionellen Leidenskultur der amerikanischen Schwarzen in Berührung geraten. Seine Welt aber war und ist vom «American Dream» geprägt, vom Traum des Aufsteigens, vom Traum, dass in diesem Land selbst das Unmögliche möglich ist. So hat er die traditionelle Rassenfrage aus dem Wahlkampf bewusst herausgehalten und wurde so für alle, auch Weisse, wählbar.
Die letzten, die bei seinem Wahlkampf an Bord kamen, waren die skeptischen Schwarzen selbst. Er war nicht unbedingt einer der ihren. Doch als sie in den Primärwahlen sahen, dass mit ihm zum ersten Mal ein Schwarzer eine echte Chance hatte, liefen sie in Scharen von Hillary Clinton zu ihm über. Sein Schlachtruf «Yes We Can!» meinte für sie etwas Besonderes. Zum ersten Mal fühlen sie sich nun als Teil des amerikanischen Traums.
Alfred DefagoAlfred Defago ist Kolumnist der «NZZ am Sonntag». Er lehrt Internationale Beziehungen an der University of Wisconsin und an der Florida Atlantic University und war früher Botschafter der Schweiz in den USA. Ende Februar 2009 erscheint bei Huber Frauenfeld sein neues Buch über Amerika nach der Wahl von Barack Obama. (zzs.)