«Zu feiern gibt es nichts»
http://www.nzz.ch/nachrichten/wirtschaf ... 35160.htmlWEF-Präsident Klaus Schwab kündigt eine Zeit «grösserer Bescheidenheit» an
Die Finanz- und Wirtschaftskrise mobilisiert: Noch nie waren in Davos für das Weltwirtschaftsforum so viele Manager und hochrangige Politiker angemeldet. WEF-Präsident Schwab kündigt eine Zeit «grösserer Bescheidenheit» an. Das am 28. Januar beginnende WEF solle dazu beitragen.
Daniel Hug
In nur 36 Stunden wurden an zwei Septembertagen im vergangenen Jahr weltweit 600 Mrd. $ an den Börsen vernichtet. «36 Stunden im September: Was lief schief?», fragt sich Ende Januar eine Diskussionsrunde am Weltwirtschaftsforum (WEF). Der amerikanische Krisenprophet Nouriel Roubini, der Harvard-Geschichtsprofessor Niall Ferguson sowie Psychologieprofessor Daniel Kahneman suchen nach den Gründen. Mit dabei ist auch Nassim Taleb, der sich mit der Macht von höchst seltenen Ereignissen beschäftigt (sein Buch «Der Schwarze Schwan» wurde ein Bestseller).
Das Weltwirtschaftsforum in Davos steht vom 28. Januar bis zum 1. Februar im Banne der Finanz- und Wirtschaftskrise – sie hat Themen wie Treibhauseffekt und Eindämmung der CO 2 -Emissionen in den Hintergrund gedrängt. «Bildlich gesprochen war die Globalisierung eine Autobahn, die durch verschiedene Gemeinden führte», erklärt WEF-Präsident Klaus Schwab im Gespräch mit der «NZZ am Sonntag». «Jede Gemeinde hatte ihre eigenen Gesetze. Doch dann sind einige Leute dazu übergegangen, mit 180 oder 200 Kilometern pro Stunde zu fahren. Jene, die mit 120 unterwegs waren, haben sich gesagt: 'Wir sind doch keine Idioten, wir fahren auch schneller.'»
Der Verschuldungsgrad im Finanzsystem stieg immer höher an – bis das System implodierte. «Es kam schliesslich zu einem Unfall, zu einer Art Massenkarambolage», sagt Schwab. «Die Regierungen sind zur Unfallstelle ausgerückt, haben die Verletzten geborgen, Blut gestillt und sie ins Spital gebracht», fährt Schwab fort.
Der Beitrag, den das WEF leisten kann, umreisst der grossgewachsene, asketisch wirkende Professor so: «Wir müssen jetzt jeden einzelnen Patienten, egal wie er heisst, analysieren: In welcher Verfassung ist er? Wie können wir sein Überleben langfristig sichern?» Auf der anderen Seite müsse man darauf achten, dass die Autobahn wieder benutzbar werde. «Wir müssen für die Regeln sorgen, damit die Koordination der Verkehrsteilnehmer wieder funktioniert. Die Suche nach den Lösungsansätzen für die Zukunft ist vermutlich der Grund, warum Davos dieses Jahr so attraktiv ist.»
Normalerweise empfängt das WEF in Davos etwa 25 Regierungschefs. «Doch dieses Mal werden am Forum 48 Staatschefs und 200 Regierungsmitglieder teilnehmen. Der chinesische Premierminister Wen Jiabao reist zum Beispiel mit zehn Kabinettsmitgliedern an», sagt Schwab. Er ist sichtlich stolz auf die prominenten Gäste, die er nach Davos bringt. Trotz seinen 70 Jahren ist er immer noch voller Tatendrang. «Es besteht Bedarf, zu analysieren, was überhaupt passiert ist.»
«Die Welt formen, die nach der Krise entsteht» (Shaping the Post-Crisis World) lautet dieses Jahr der zentrale Aufhänger des WEF. Was heisst das konkret? «Wir haben eine Reihe von Krisen», analysiert Schwab. Eine zyklische Krise, die nach dem Konjunkturhöhepunkt sowieso gekommen wäre. Daneben gebe es eine Innovationskrise, weil die Informationstechnologie, welche die Wirtschaft beflügelte, inzwischen am Auslaufen sei und neue Entwicklungen wie energiesparende Technologien erst in der Anlaufphase seien. «Die wichtigste Krise ist jedoch die Vertrauenskrise», sagt Schwab. Er wird konkreter: «Der reale Verlust, der durch die Subprime-Krise ausgelöst wurde und umfangreiche Regierungshilfen nach sich gezogen hat, geht in die Grössenordnung von 5000 Mrd. $, das entspricht etwa 10% des Welt-Bruttosozialprodukts», rechnet der Professor vor. «Der virtuelle Verlust, der alleine an der Börse entstand, beläuft sich auf das Sechsfache – auf etwa 30 000 Mrd. $.» Nun müsse man das Vertrauen von Konsumenten und Unternehmern wieder stärken.
«Das können Sie nur, wenn Sie langfristige Perspektiven aufzeigen, wie die Welt nach der Krise aussehen könnte. Wir bieten keine kompletten Lösungen, aber Ansatzpunkte des Denkens», doziert Schwab.
Eine Plattform dazu ist zum Beispiel die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20, bestehend aus der EU und 19 Staaten). «Wir arbeiten mit der G-20 zusammen, um den Prozess der Krisenbewältigung voranzubringen», sagt Schwab. Nach dem Treffen in Washington vom vergangenen Dezember müssen die Finanzminister in fünf Bereichen bis Anfang März Vorschläge unterbreiten. Diese werden am 1. April in London unter dem Vorsitz des britischen Premiers Gordon Brown diskutiert.
«Wir bringen in Davos Wirtschaft, Wissenschaft und Regierungen zusammen, um im Rahmen von Arbeitsgruppen die fünf wichtigsten Bereiche zu diskutieren», so Schwab. Dazu gehören eine Klärung des Verhältnisses zwischen Staat und Markt, die Frage der geeigneten Regulierung und die Frage, welche Formen die internationale Zusammenarbeit annehmen soll.
Vor diesem Hintergrund diskutieren am WEF Politiker mit ausgesuchten Unternehmensführern unter der Leitung der Deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie man die Wirtschaft wieder in Gang bringen könnte. Oder die wichtigsten Bankvertreter unterhalten sich mit dem britischen Finanzminister Alistair Darling und weiteren Ministern darüber, wie die globale Finanzarchitektur aussehen könnte. Natürlich sind auch Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, der Chef des Financial Stability Forum und Vorsitzende der italienischen Notenbank, oder der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, in Davos dabei.
Zu lösen haben die Fachleute eine Menge von Problemen; der Betrüger Bernard Madoff hat Ende Jahr das Finanzsystem ad absurdum geführt. «Es stimmt etwas mit der Transparenz oder Regulierung nicht mehr, wenn Madoffs Firma mit einem Anlagevolumen von 50 Mrd. $ durch eine Revisionsstelle überwacht wird, die bloss aus drei Personen besteht, von denen eine überdies ein Pensionär in Florida ist», kritisiert Schwab.
Eines steht für den WEF-Erfinder fest: Die Zeit der Partys ist vorbei. «Wir leben in einer Zeit der grösseren Bescheidenheit. Die Abendessen werden mehr inhaltlicher als festlicher Natur sein», verspricht Schwab. «Denn zu feiern gibt es wirklich nichts.»
Mit Spannung erwartet er, wie die neue US-Regierung von Barack Obama zehn Tage nach dessen Inauguration von den übrigen Teilnehmern wahrgenommen wird. «Obama wird sofort nach Amtsbeginn ein umfangreiches Wirtschaftspaket vorschlagen, das aber zuerst noch durch den Kongress gehen muss», sagt Schwab. Deshalb sei es noch unklar, wer die US-Regierung in Davos vertreten werde. Von den 2500 Teilnehmern werden jedoch rund 600 bis 700 aus den USA anreisen.
Erstmals wird auch Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin offiziell am WEF teilnehmen. «Die Energiesicherheit ist für Europa immer noch ein zentrales Thema», begründet Schwab. «Wir haben in Georgien einen Konflikt, aber sehen Zeichen, dass Russland an einer Zusammenarbeit mit Europa und der neuen US-Regierung interessiert ist.»
Die Schweizer Regierung wird wie üblich als Trio anrücken – mit Bundespräsident und Finanzminister Hans-Rudolf Merz, mit Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und mit der Vorsteherin des Volkswirtschaftsdepartementes Doris Leuthard.