«Soziale Lynchjustiz» gegen Bundesrat Schmid - Basler Zeitung
Das Ende eines langen Dramas, das die Grenze des Zumutbaren erreicht hat: So sieht der Soziologe Kurt Imhof den Rücktritt von Bundesrat Samuel Schmid.
Bundesrat Samuel Schmid ist nach Einschätzung des Zürcher Soziologen Kurt Imhof auch Opfer der «Sommerlochtreibjagd» der Medien geworden. Diese Form sozialer Lynchjustiz sei bedenklich für die Demokratie. «Rudeljournalismus» habe den politisch-publizistischen Konflikt abgelöst, sagte Imhof im «Tagesgespräch» von Radio DRS.
Der Auftritt von Schmid zu seiner Demission sei eindrücklich gewesen und man habe ihm die Mühe angemerkt, sagte Imhof. Der Entscheid sei verständlich, weil es auch in der Politik eine Grenze des Zumutbaren gebe. Er bedaure den Schritt, weil das Regierungssystem von der Kontinuität lebe und ein Bundesratsmitglied im Amt bleiben und nicht unter Druck zurücktreten sollte.
Imhof konstatierte im Interview vom Donnerstag zugleich eine Polit- und Medienhatz von nie erlebter Intensität, ausgelöst durch die schwache Position des Bundesrats nach dem Abgang der SVP in die Opposition. Die gleichgerichteten Kampagnen der SVP und des grössten Teils der Medien gegen den Bundesrat seien in dem Ausmass neu und auch extrem stark personalisiert gewesen. Fehler und Fehleinschätzungen seien bei der Einstellung des Armeechefs unbestritten passiert, doch eine platte Lüge habe Schmid nicht vorgeworfen werden können, sagte Imhof weiter. Die anschliessende Medienkampagne und Kritik habe aber das Mass verloren. So habe sich nach einem misslungenen Einstellungsverfahren ein Deutungsmuster durchgesetzt, das nur noch über den Zeitpunkt von Schmids Rücktritt spekuliert habe. Nach und nach hätten sich alle grossen Verlagshäuser, aber auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio an der Skandalisierung beteiligt.
Eine solch einmütige «Sommerlochtreibjagd» wie nach der Nef-Affäre habe es bisher nicht gegeben: Die Medien hätten zusehends das Bild von Schmid als einem trägen, die Probleme aussitzenden, schwachen und handlungsunfähigen Bundesrat übernommen. Im Unterschied dazu sei SVP-Doyen Christoph Blocher bei ähnlichen medienpopulistischen Kampagnen zwar als böse, aber immer als charismatischer Macher dargestellt worden. Die Fixierung der Medien auf die SVP sei denn auch eine Voraussetzung für den ungeheuren Erfolg der Partei. «Das ist viel spannender als Pelli oder die Moralisten der SP, die immer das Gleiche erzählen», sagte Imhof.
Bezüglich Nachfolge stellte Imhof fest, dass das VBS nach dem Kalten Krieg zu den schwierigsten Departementen überhaupt geworden sei. Entsprechend werde es auch der Nachfolger schwer haben, einen Konsens zu finden. Schmid habe zwar versucht, die sicherheitspolitische Diskussion breit zu lancieren und ein Sicherheitsdepartement zu schaffen. Laut Imhof hätte er aber dezidierter nach neuen Mitte-Links-Mehrheiten suchen können. So aber hätten CPV wie auch Freisinnige und Linke die Identitätspolitik der SVP mit ihrer klassischen und rechtskonservativen Landesverteidigungspolitik überlassen. Ein neuer Bundesrat müsste laut Imhof deshalb die Diskussion breit aufnehmen. Auch bräuchte es wieder den politisch-publizistischen Konflikt mit unterschiedlichen Interpretationen. Bereits sei die Medienaufmerksamkeit aber wieder auf die mögliche Spaltung der SVP, auf allfällige Kandidaten ohne Chancen und Flügelkämpfe gerichtet.